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Land und Leute im Ermland
(Der Text folgt weitgehend Auszügen aus Bruno Stolzenbergs Lauterer Chronik)

Lage, Landschaft und Klima *

Die Besiedlung im eroberten Land *

Überblick über die Entwicklung in der Landwirtschaft *

Alltag auf einem Bauernhof *

Das Schulwesen auf dem Land *

Brauchtum im Ermland *

 

Lage, Landschaft und Klima

Glaziallandschaft des Baltischen Höhenrückens

Die Landschaft im Ermland ist die Hinterlassenschaft des endgültig zurückweichenden Eises der Eiszeit, deren Ablagerungen die heutige Landschaft geprägt haben. In mehreren Schüben von unterschiedlicher Zeitdauer rückten die Gletscher von Norden nach Süden vor und zogen sich in wärmeren Zeiten wieder zurück. Sie schleppten viel Geschiebemergel und Gesteinsbrocken (Findlinge) aus der nördlichen Gebirgswelt mit sich nach Süden. Ein bekannter großer Findling ist der sogenannte "Griffstein" oder "Teufelsstein" in Bischofstein, um dessen Herkunft sich eine Teufelslegende gebildet hat. Kleinere Gesteinsbrocken, die die Bauern mit der Zeit von ihren Feldern gesammelt hatten, wurden zu den Fundamenten ihrer Häuser und Wirtschaftsgebäude verwendet oder dienten, von Steinschlägern zerkleinert, dem Straßenbau.

Die Mächtigkeit der Eisschicht war recht unterschiedlich. Sie schwankte zwischen ca. 100 und 1000 Metern. Die Ablagerungen, sich mit der Zeit über dem ostpreußischen Land häuften, betragen nach Schätzungen der Geologen im Mittel etwa 150 Meter. Am besten bekannt sind die Gletscherbewegungen der letzten Eiszeit im nördlichen Mitteleuropa - Mecklenburg, Brandenburg, Pommern, Ostpreußen, Baltikum- auch Weichseleiszeit genannt. Der Höhepunkt dieser Zeit liegt um 18 000 v.Chr. Nach dem Zurückweichen des Eises dieser letzten Eisperiode blieb eine sogenannte Glaziallandschaft zurück. Das bedeutet für den ostpreußischen Raum eine im Mittel etwa 150 m starke Geschiebemergelschicht mit eingelagerten Gesteinsbrocken. Das vor dem Eis hergeschobene Erdreich blieb beim Abschmelzen des Eises als Endmoräne zurück. Typische Beispiele dafür sind der Pommersche und der Preußische Landrücken als Teil des Baltischen Höhenrückens. Das ganze Gebiet erstreckt sich von Jütland bis nach Estland hin und umrahmt so das Ostseebecken.

Das vor den Endmoränen abgeschmolzene Eis sammelte sich in den tieferen Lagen in ausgedehnten Seen. Ebenso schufen die Aussprudelungen des von der Höhe herabfließenden Wassers kleinere oder größere und meist recht tiefe Gewässer. Es gibt im Kreis Rößel 31 größere Seen und über 1200 in ganz Ostpreußen. Daher wird diese Seenlandschaft auch als Ostpreußische Seenplatte bezeichnet. Die abfließenden Wassermassen, die zum größten Teil das Ostseebecken auffüllten, hinterließen breite Urstromtäler, deren Sandgebiete heute als Heide die Landschaft prägen (Johannisburger und Rominter Heide). So wechseln Lehm- und Mergelböden mit Feuchtwiesen und Mooren (verlandete Wassertümpel) und Sandböden in dieser Glaziallandschaft miteinander ab.

Das Ksp. Lautern liegt im Bereich des Preußischen Landrückens. Seine Bergkuppen haben um die 200 m über NN. Der höchste Berg im Krs. Rößel liegt mit 220 Meter über NN in der Gemeinde Voigtsdorf. Als Gletscherseen sind im Ksp. Lautern der Große Lauternsee mit dem Kleinen Lauternsee, der Birdau- oder Wangster See sowie der Teistimmer See anzusehen. Der Lauterer See besitzt eine Fläche von 1008,0 ha und hat eine größte Tiefe von 23 Metern. Die Seen sind sehr fischreich. Aale, Hechte, Zander, Maränen, Barsche, Plötze und Rotfedern sind die hauptsächlich auftretenden Fischarten.

Land der Seen und dunklen Wälder

In dieser Landschaft entwickelten sich mit der Zeit ausgedehnte Waldgebiete mit einem reichen Tierbestand. Je nach den Bodenverhältnissen handelt es sich bei den Wäldern um Laub- oder Mischwaldgebiete - Eichen, Weiß-und Rotbuchen, Eschen, Spitzahorn, Birken- während sich auf reinen Sandböden vorwiegend Tannen, Fichten und Kiefern ansiedelten. Darauf deuten die Ortsnamen wie Wangst d.h. Eichenwald und Porwangen d.h. vor dem Eichenwald hin. Groß ist auch die Vielfalt an Beerensträuchern und nutzbaren Bodenpflanzen wie z.B. Blaubeeren und Pilzen. Diese Wälder müssen fast undurchdringlich gewesen sein, denn in der Zeit der Besiedlung taucht in den damaligen Dokumenten die Bezeichnung "Wildnis" für die Gegend um Lautern auf. Erst durch Ansiedlung deutscher Bauern nach der Besetzung durch den Deutschen Ritterorden wurden diese Waldgebiete gelichtet und als Ackerland kultiviert.

So hat ein unternehmungstüchtiger, eingewanderter Menschenschlag zusammen mit den verbliebenen Prussen - baltische Volksstämme, keine Slawen -, die die höher entwickelte Agrarwirtschaft der deutschen Einwanderer schnell übernahmen, die blühende ostpreußische Kulturlandschaft aufgebaut. Seuchen (Pest) und Kriege dezimierten zwar mehrfach die Bevölkerung, wobei ganze Dörfer untergegangen sind, Doch erholte sich der zähe Menschenschlag immer wieder und baute die Landkultur wieder neu auf, so dass vor 1945 Ostpreußen allgemein als die "Kornkammer" Deutschlands galt. Ebenso waren die ostpreußischen Viehzüchter mit ihrem Herdbuchvieh recht erfolgreich.

Die Tierwelt ist nach dem Zurückweichen des Eises aus dem östlichen Europa eingewandert. In unserer Zeit trifft der Jäger noch auf den Elch (nicht im Kreis Rößel), Hirsch, Reh und Fuchs und gelegentlich auf aus Ostpolen eingewanderte Wölfe. Außerdem ist Niederwild wie Hase, Kaninchen, Rebhuhn und Wachtel reich vertreten.

Auch eine reiche Vogelwelt belebt Feld, Wiesen, Wald und Wasser. Besonders auffällig prägt der Weißstorch das ostpreußische Landschaftsbild, so dass man Ostpreußen als ein Land der Störche bezeichnen kann. Um die Tierwelt vor den sie bedrohenden Einflüssen einer voranschreitenden Zivilisation zu schützen, sind Naturschutzgebiete und Tierreservate geschaffen worden. Ein Beispiel dafür im Ksp. Lautern ist die Vogelinsel im Großen Lauternsee gegenüber Kekitten.

Kontinentales Klima

Auch das Klima ist eine die Landschaft gestaltende Kraft. Das südliche und mittlere Ostpreußen, wozu auch das Ksp. Lautern gehört, liegt im Grenzbereich des Kontinentalklimas von Osteuropa und dem Einflussgebiet des Golfstroms, der "Warmwasserheizung" Europas. Das bedeutet, dass große Schwankungen der Wetterlage möglich sind, je nachdem, ob maritime oder kontinentale Luftmassen das Wetter bestimmen. Über größere Zeiträume gemittelt, kann etwa das folgende Klima als vorherrschend gelten: Verhältnismäßig lange Winter mit zeitweise starkem Frost und längeren Schneeliegezeiten. Der Frühling ist naßkalt und zieht erst spät ins Land, ungefähr vier Wochen später als im Rheinland. Dadurch ist auch eine spätere Frühjahrsbestellung der Felder bedingt. So stehen dazu dem Bauern in Ostpreußen im allgemeinen nur etwa 30 Tage zur Verfügung, während er in der Rheinebene mit 70 Tagen rechnen kann.

Die sommerliche Erwärmung beginnt im Juni und sie ist trockener als in Westdeutschland trotz häufiger, sehr heftiger Gewitter mit kräftigen Regengüssen. Diese Wetterlage besteht bis in den August hinein und geht dann in einen langen und milden Herbst über, der im weiteren Fortschreiten der Jahreszeit mit sinkender Sonneneinstrahlung kühlere Nächte mit sich bringt und in der Umgebung des Gr. Lauternsees zu Dunst und Nebel führt. Anfang Dezember, manchmal auch früher, bricht dann ziemlich plötzlich der Winter mit Frost und Schnee herein.

In dieser vorgegebenen Landschaft haben die eingewanderten Siedler zusammen mit den StammPreußen (Prussen) das Kulturland Ostpreußen geschaffen, wobei die Prussen mit der Zeit in der deutschen Kultur aufgegangen sind, so dass schließlich die prussische Sprache und Kultur etwa im 17. Jahrhundert als erloschen gelten kann.

Die Besiedlung im eroberten Land

Siedlungspolitik zugleich Macht- und Finanzpolitik

Nachdem die Ordensritter und ihre Gefolgsleute das Prussenland mit dem Schwert erobert hatten und die Missionierung unter den verbliebenen Prussen erhebliche Fortschritte gemacht hatte, so dass vier Diözesen gegründet werden konnten, galt es den Einfluss des Ordens und die kirchliche Ordnung zu sichern. Dies konnte nur zuverlässig geschehen durch eine Besiedlung der weiten und zum Teil entvölkerten Gebiete mit deutschen Siedlern.

Außer der Sicherung der Macht in dem eroberten Land gab es noch einen weiteren wichtigen Grund für eine möglichst schnelle Besiedlung: Der Orden und seine Ritterschaft mussten versorgt werden sowie auch der Bischof und das Domkapitel mit ihren Dienstleuten, und die Ausgaben für die Verwaltung des Bistums brauchten Einnahmen. So vergab der Orden in seinem Machtbereich große Güter an seine treuen Gefolgsleute, die dann ihrerseits versuchten, die mit dem Lehen verbundenen Verpflichtungen und die Sicherung der Lebenshaltung der Familie durch Gründung eigener Bauerndörfer zu sichern. Die Bauernfamilien mussten neben der Sicherung ihres Lebensunterhaltes mit Zins und Naturalien sowie Scharwerksdiensten den Bedarf des Gutsherrn decken. Die Gutsbesitzer bewirtschafteten ihre umfangreichen Ländereien zum Teil mit eigenen Kräften und mit Vorwerken, in die die Bauernfamilien der Dörfer ihre Pflichtleistungen (Scharwerksdienste) einbrachten.

Bischof und Domkapitel bzw. ihre Vögte versuchten vor allem deutsche Bauern in Dörfern anzusiedeln. Je mehr Dörfer sie gründen konnten, desto höher waren die Einnahmen, die Bischof und Domkapitel für ihren Hofstaat und die Erfordernisse des Bistums erzielten. Ihre Siedlungspolitik übernahm schließlich auch der Orden. In der ersten Zeit machten sich Ordensritter und Bischöfe selbst auf den Weg in ihre Heimat und warben persönlich für die Siedlung in ihrem Land. Vielfach zog ein Bischof seine ganze Sippe nach, deren Mitglieder Lehnsgüter oder Dienstgüter erhielten und als Grundherren Eigendörfer gründeten.

Herkunft der Siedler

Im Ksp. Lautern waren es vor allem Bischof Eberhard von Neiße und sein Vogt Friedrich von Liebenzelle, die Landsleute aus ihrer Heimat Schlesien zum Siedeln bewegen konnten. Darum herrschte hier bis in die letzte Zeit in der Volkssprache eine schlesische Mundart vor. Noch intensiver wurde die Siedlungspolitik etwas später von den Bistumsvögten Heinrich von Luter (1333-1342/43) und Bruno von Luter (1343-1346) im Auftrag ihrer Bischöfe betrieben. In anderen Gebieten siedelten auch Bauern aus dem niederdeutschen Raum, aus Westfalen und dem Rheinland. Auch sie brachten ihre landeseigene Volkssprache und Kultur mit. So wurde das Gebiet nördlich des Ksp. Lautern von der niederdeutschen oder der käslauischen Mundart beherrscht. Viele Gedichte und Erzählungen (Spichtchen) halten die mundartlichen Eigenheiten fest. Sie wurden in der zentralen Sammelstelle für ostpreußische Mundarten im "Preußischen Wörterbuch", bearbeitet von dem Königsberger Prof. Walter Ziesemer (1882-1961) und dessen Nachfolger Prof. Erhard Riemann gesammelt und auf Tonbändern archiviert.

Den siedlungswilligen Bauernfamilien wurden in der Regel 2 bis 3 Hufen zur Bewirtschaftung kostenlos zugeteilt. Nach einigen Freijahren, die je nach der Schwierigkeit der Kultivierung des Geländes unterschiedlich ausfielen, leisteten die Bauern einen Hufenzins, sowie Abgaben an Naturalien und Scharwerksdienste für die Vorwerke der Grundherren und die Tafelgüter des Bischofs und des Domkapitels.

Neben den Neugründungen von Dörfern mit deutschen Siedlern sind auch zahlreiche Siedlungen von Prussen bestehen geblieben oder neu entstanden, wenn sie sich dem Orden unterwarfen und den christlichen Glauben annahmen. Sie pflegten ihre Sprache und ihre Bräuche weiter, soweit sie nicht christlichen Auffassungen widersprachen. Durch den Verschmelzungsprozeß mit den deutschen Siedlern im Laufe der Jahrhunderte nahmen die Prussen die deutsche Kultur und Sprache mehr und mehr an zumal die deutschen Siedler eine höhere Agrarkultur mitbrachten. So kann man feststellen, dass mit dem Ausgang des 17. Jahrhunderts im Ermland eine deutsche Kultur bestand, die vom katholischen Glauben geprägt wurde.

In unserem Jahrhundert ist lediglich noch in manchen Familien- und Ortsnamen der prussische Ursprung erkennbar. Das Verhältnis deutscher und prussischer Bevölkerungsanteile hat nach dem ersten Jahrhundert der Kolonisation etwa 1:1 betragen.

Rolle der Städte

In den Städten, die sich im Schutz der Burgen bildeten, gab es nur deutsche Bürger. Auch für sie wurde nach einer gewissen Aufbauphase eine Handfeste ausgestellt. Alle Handfesten waren vom Bischof oder dem Domkapitel bzw. deren Vögten und Zeugen unterzeichnet, je nachdem in welchem Kammeramt das Gemeinwesen lag. Diese Dokumente wurden im "Bischöflichen Privilegienbuch" eingetragen, das zu einem großen Teil heute erhalten ist. Als ordnendes Statut gab sich die Stadt eine sogenannte "Willkür". Diese enthielt die Rechte und Pflichten der Bürger und bildete die Grundlage der Rechtsprechung. An der Spitze der Stadtverwaltung stand ein von den Stadtverordneten gewählter Bürgermeister. Diese Organisation ist im Laufe der Zeit entstanden. Für die Rechtsprechung gab es ein Gremium von Laienrichtern, den Schöppenstuhl, mit einem Schöppenmeister an der Spitze. Die oberste Entscheidungsinstanz lag beim Bischof bzw. seinem Vogt.

Dorfgründung

Bei den kinderreichen Bauernfamilien im Mittelalter konnte nur einer den Hof erben. Eine Zerstückelung des Landes in mehrere Erbteile würde sehr schnell das Existenzminimum einer Bauernwirtschaft unterschreiten. Daher heirateten die Brüder oder Schwestern des Erben in andere Wirtschaften ein, ergriffen einen geistlichen Beruf, zogen in die Stadt als Bürger und Handwerker oder blieben als Arbeitskräfte auf dem Hof des Bruders. Ferner gab es von Brandenburg bis zum Baltikum noch viele Möglichkeiten zur Siedlung auf bisher ungenutzten Waldflächen, die zu Ackerflächen gerodet wurden. Durch die westdeutschen Dörfer ging damals das bekannte Wort: "Nach Ostland wollen wir fahren".

Das vollzog sich etwa so, bezogen auf die Besiedlung des Prussenlandes, wie es Dr. Adolf Poschmann im Heimatbuch "Der Kreis Rößel" schildert: Ein vom Orden oder dem Bischof beauftragter Lokator erschien in einem schlesischen oder westdeutschen Dorf und sprach zu den Einwohnern von den großartigen Möglichkeiten, kostenlos Land zu bekommen und eine eigene Bauernwirtschaft aufzubauen. Das war eine Gelegenheit für unternehmensfreudige Bauernsöhne und -töchter. Nun wurde geplant, eventuell noch in der alten Dorfgemeinde geheiratet, und dann die Planwagen mit der notwendigen Ausrüstung beladen. Dann begann ein Treck siedlungswilliger Bauern und Bäuerinnen die beschwerliche Reise in das verheißene Land. Treckführer war der Lokator, der den Weg schon kannte.

Wie vollzog sich nun am Ziel der Neuanfang? Zur Dorfgründung weiter der Bericht: "Traf nun eine neue Schar deutscher Siedler ein, so wurde wieder ein großes Dorf mit 70 oder 100 Hufen angelegt. In dem hügeligen Gelände wurde eine möglichst ebene Fläche ausgewählt, wo auch genügend Wasser war, denn jeder Bauer wollte auf seinem Hof einen Brunnen und einen Teich haben. Der Landmesser steckte ein Viereck ab, ungefähr einen Kilometer lang und 250 Meter breit, in der Mitte der 1anggestreckte Anger zwischen zwei gleichlaufenden Straßen. An den Außenseiten der beiden. Straßen wurde jedem Bauer eine Hofstelle angewiesen. Die Gehöfte standen aber nicht so eng nebeneinander wie in westdeutschen Dörfern; hier blieb, immer noch Platz für einen Gemüse- und Obstgarten, und hinter dem Gehöft war ein Teich, auf dem sich Enten und Gänse tummelten. Der Anger war Gemeinbesitz. Hier standen die Kirche mit dem Friedhof, der Krug, die Schmiede und das Hirthaus. Später kam dann noch die Schule hinzu. Der Pfarrhof lag in der Reihe der Bauernhöfe, natürlich in der Nähe der Kirche. Auf dem Anger siedelten sich Handwerker und Eigenkätner an. Neben den Häuschen wurden Gemüsegärten angelegt, so dass die freie Fläche immer kleiner wurde. Wer nicht Handwerker war, arbeitete bei einem Bauern und verdiente so sein Brot. Jeder Eigenkätner durfte eine Kuh und einiges Kleinvieh mit der Dorfherde auf die gemeinsame Weide treiben.

Die Feldmark wurde in drei Felder eingeteilt. Wie überall, so wurde auch hier die Dreifelderwirtschaft eingeführt: In jedem Feld erhielt jeder Bauer einen langen schmalen Streifen Acker. Im Frühjahr rief der Schulz die Bauern zusammen und beriet mit ihnen, wann gepflügt und gesät werden sollte. Mitte Juli wurde über den Beginn der Ernte beraten. Jeder Bauer pflügte, säte und erntete auf seinem schmalen Streifen. Das Brachfeld war zugleich Weideland für die Dorfherde. Nach der Ernte wurde das Vieh auf die Stoppelfelder getrieben. Frühmorgens ging der Hirte das Dorf entlang und blies in sein Horn. Dann öffneten die Bauern die Ställe, das Vieh lief an den Teich zur Tränke, und danach trieb der Hirte die Herde auf das Brachfeld.

All das lernten die prussischen Bauern von den deutschen Nachbarn. Bisher konnten sie mit ihrer hölzernen Zoche den Boden nur flach aufreißen; dann aber lernten sie den Räderpflug mit Streichbrett und eiserner Schar kennen. Bis dahin hatten sie nur einzelne Ackerstücke bearbeitet, die planlos in der Dorfflur lagen, dazwischen viel unbestelltes Land. Jetzt wurde die gesamte Fläche beackert - abgesehen von Sümpfen und Mooren, wo nur im Sommer das Vieh weidete."

Bei den Ortsgründungen wurden die Dörfer so über das Land verteilt, dass zwischen mehreren kleineren ein größeres lag, das dann zum Kirchdorf bestimmt wurde.

Wenn die Gründung eines Dorfes vollzogen war, erhielt das Dorf eine Gründungsurkunde, die sogenannte Handfeste. In ihr war die Ordnung des neuen Gemeinwesens meist nach kulmischem Recht festgeschrieben. Das kulmische Recht hatte das Magdeburger Stadtrecht zur Grundlage und wurde vom Orden wie auch den Bischöfen und Domkapiteln allgemein als Rechtsnorm zugrunde gelegt. Ausnahmen waren die Küstenstädte Elbing, Braunsberg und Frauenburg, wo sich viele Bewohner aus Lübeck angesiedelt hatten und für die Ordnung ihrer Städte das Lübecker Recht einführten. Eine weitere Ausnahme galt für die weiter bestehenden Prussendörfer, für die ein prussisches Recht die Rechtsnorm bildete. Auf Einzelheiten kann in diesem Rahmen nicht näher eingegangen werden.

Gesellschaftliche Struktur im Dorf

Es sollen noch einige Bemerkungen über die gesellschaftliche Struktur der Dörfer folgen: Der Aufbau des Dorfes wurde dem Gründer oder Lokator, also meist dem Treckführer, überlassen, der dann vom Landesherrn zum Erbschulzen ernannt und mit besonderen Privilegien ausgestattet wurde. So war jede 10. Hufe nach dem Siedlungsrecht sein Wirtschaftseigentum. Das bedeutete meist eine Fläche von 4 bis 6 Hufen. Mit Ausnahme der Ländereien, die allen Landesbewohnern nur als Lehen gegeben wurden, gehörten den Schulzen und Köllmern (Freibauern) alle Baulichkeiten, Geräte und das Vieh. Den Scharwerksbauern dagegen gehörten zwar die Gebäude, aber nicht in jedem Fall alles andere tote und lebende Inventar, wenn dieses dem Grundstück zugeteilt worden war.

Der Schultheiß, Schulz oder auch Scholz hat die Verwaltungsarbeit zu leisten und war mit polizeilicher und gerichtlicher (kleine Gerichtsbarkeit) ausgestattet. Seine vorgesetzte Instanz war der Landvogt. Im Kriegsfall musste er sich selbst als bewaffneter Reiter zur Verfügung stellen. Da kriegerische Auseinandersetzungen sehr häufig vorkamen, musste er oft seine eigene Wirtschaft vernachlässigen. Darum rüstete er später einen seiner Leute als bewaffneten Reiter aus, der dann für ihn in den Heerbann eintrat.

Etwa die gleiche gesellschaftliche Stellung hatten die Besitzer von Gratialgütern. Darüber berichtet H. Krüger in "Das Kirchspiel Arnsdorf": "Nach den Kriegen und den Pestzeiten gab es in den ermländischen Dörfern eine Reihe zerstörter und verwaister Höfe, deren Eigentümer und Erben nicht lebten. In solchen Fällen vergab der Landesherr diese Grundstücke erneut an geeignete Bewerber, manche als Gratialbesitz an Männer seines Vertrauens oder für besondere Verdienste. Die Gratialisten hatten in etwa die Rechte der Köllmer.

Die Bauernhöfe waren zunächst Familienbesitz. Die Bauern konnten den Hof beliebig vererben. Meistens war der älteste Sohn der Hoferbe. Für den zweiten Sohn wurde auf dem Anger ein Häuschen gebaut; er wurde Eigenkätner oder Gärtner, er hatte kein Land in der Feldmark, sondern einen Garten neben der Kate. Weitere Söhne fanden Aufnahme als Hilfskräfte in kinderlosen Bauernfamilien. Im Falle der Heirat baute ihm der Bauer ein Insthaus. Das war eine ebenso bescheidene Kate wie das Gärtnerhaus. Es stand aber nicht auf dem Anger, sondern auf dem Gelände des Bauern und blieb dessen Eigentum. Der Instmann war verpflichtet, auf dem Hof des Bauern zu arbeiten. Dagegen war das Häuschen des Eigenkätners - wie der Name schon sagt - sein Eigentum und an keinen bestimmten Hof gebunden.

Der Einzug in ein Gärtner- oder Insthaus war ein sozialer Abstieg und so zogen es manche Bauernsöhne vor, in die Stadt zu gehen, um dort einen handwerklichen Beruf zu erlernen. Ebenso heirateten Bauerntöchter in die Stadt oder traten in die Kongregation der hl. Katharina in Braunsberg ein. In guten Zeiten schickten die Bauern auch gern einen Sohn auf das Gymnasium.

Steuern und andere Lasten

Die Bewohner des Landes wurden unterschiedlich zu Abgaben und Lasten herangezogen. Die Schulzen, Köllmer wie auch Pfarrer und Schulmeister waren von der Scharwerksleistung befreit. Dafür hatten die beiden erstgenannten Gruppen im Kriegsfall einen bewaffneten Reiter zu stellen. Die Bauern leisteten pro Hufe Scharwerksdienste, d.h. Arbeitsdienste für den Landesherrn oder gegebenenfalls für den Grundherrn (Gutsbesitzer). Die Scharwerksleistung bestand in der Gestellung von Gespannen mit Hilfskräften zu Arbeiten auf den Feldern und im Wald. Die Eigenkätner hatten mit ihren Familien Handdienste zu leisten.

Neben den Scharwerksdiensten lasteten auf den Grundstücken außerdem noch Zins- und Naturalienabgaben. Zur Zeit der Dorfgründungen war der Hufenzins überall gleich hoch festgesetzt worden. Später fand eine Differenzierung nach Güteklassen des Bodens statt. Außer dem Hufenzins hatten die Bauern noch Naturalien an die Vorratshäuser des Landesherrn zur Versorgung des Hofstaates zu liefern. Solche Lieferungen bestanden z.B. in Getreide, Geflügel, Honig und Wachs für Kerzen. In späteren Zeiten konnten diese Verpflichtungen in Geld abgelöst werden.

All diese Abgaben waren, abgesehen von Sonderleistungen in Kriegszeiten nie sehr bedrückend für die Bewohner des Hochstifts Ermland. Daher hat sich der Ausspruch erhalten: "Unter dem Krummstab läßt es sich gut leben."

Überblick über die Entwicklung in der Landwirtschaft

Dreifelderwirtschaft und Flurzwang

Im 11. Jahrhundert setzte sich die im nordfranzösischen Raum entwickelte Dreifelderwirtschaft durch, d.h. ein Wechsel zwischen dem Anbau von Winterfrucht, Sommerfrucht und einer Brache und breitete sich in den deutschen Raum nach Osten hin aus. Die westlichen Siedler, die ins Ermland kamen, brachten diese Agrarkultur sowie den eisernen Pflug, die Egge, die Sense, den Dreschflegel und manch andere Verbesserung mit in ihre neue Ansiedlung. Von den deutschen Bauern nahmen die Prussen sehr schnell die fortschrittliche Landbearbeitung an und teilten auch ihr bewirtschaftetes Land in drei gleich große Flächenabschnitte, auf denen jedem Bauern ein Streifen zugewiesen wurde. Diese "Gemengelage" brachte es mit sich ' dass sich alle auf gemeinsame Aussaat- und Erntetermine einigen mussten (Flurzwang). Sie selbst wohnten mit ihren Familien im Dorf, wo sie ihre Wirtschaftsgebäude hatten und in einem kleinen Hausgarten Gemüse für die Küche anbauten. Die Brache diente den Dorfbewohnern als gemeinsame Viehweide. Frühmorgens ging der Gemeindehirt die Dorfstraße entlang und blies in sein Horn, Dann öffneten die Bauern die Türen der Ställe, und das Vieh zog allein bis zum Sammelplatz am Hecktor. Von dort trieb der Hirt die Herde auf die Brache. So geschah es Tag für Tag bis St. Johann (26. Juni). Dann wurde die Brache umgepflügt und das Vieh in den gemeinsam bewirtschafteten Wald getrieben, bis die Felder geräumt waren. Die liegen gebliebenen Erntereste sowie die Wildkräuter boten noch eine gute Nahrung für das Vieh. Die Wiesen pflegte man für die Pferde und Zugochsen reservieren, damit sie für die schwere Arbeit genügend Kraft behielten.

So wirtschafteten die Ermländer etwa 500 Jahre der Dreifelderwirtschaft, ohne einen größeren Fortschritt in der Landwirtschaft zu machen, ,was auch durch den Flurzwang bedingt war, da einer an den anderen gebunden war, und keiner eigenmächtig, vielleicht nach besseren Erkenntnissen, wirtschaften konnte.

Die überwiegende Zahl der Bauern waren als freie Zinsbauern dem Bischof oder dem Domkapitel als ihren Grundherren verpflichtet. Sie hatten auf den bischöflichen bzw. domkapitularen Domänen Scharwerksdienste zu verrichten. Jedoch war diese Arbeit nicht bedrückend. Eine Leibeigenschaft oder Hörigkeit kannte man im Hochstift Ermland nicht. Darum hieß es allgemein: "Unter dem Krummstab läßt es sich gut leben." Der Adel war im Hochstift Ermland nur schwach vertreten.

Der Umfang der Hand- und Spanndienste vergrößerte sich erst seit dem wirtschaftlichen Niedergang im 15. Jahrhundert. Die bäuerliche Schollenpflichtigkeit wurde auch erst im 16. Jahrhundert nach vorangegangenen starken Bevölkerungsverlusten eingeführt. Da die Verluste an Menschen in den verwüstenden Kriegen des 15. Jahrhunderts nicht mehr durch Zuwanderung aus dem Westen und Binnenkolonisation ersetzt werden konnten, wurden im südlichen Teil des Hochstiftes um Allenstein, Wartenburg und Bischofsburg auch polnische Zuwanderer aus Masowien angesiedelt.

Stein-Hardenberg´sche Reformen

Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts bereitete sich ein großer Umschwung vor. Nach den Kriegswirren von 1806/07 führte der preussische Staat entscheidende Reformen durch. Die gesamte Verwaltung wurde auf Grund der Reformvorschläge des Freiherrn vom Stein und seines Mitarbeiters, des Fürsten von Hardenberg, umgestaltet. Mit der Unterzeichnung der "Ordnung für sämtliche Städte der preußischen Monarchie" am 19. November 1808 durch König Friedrich Wilhelm III. in Königsberg wurde die Selbstverwaltung in den Städten eingeführt. Mit dem "Edikt über den erleichterten Besitz und freien Gebrauch des Grundeigentums" vom 9. Oktober 1807,sowie dem "Edikt über die Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse" vom 14. September 1811 wurde die sogenannte "Bauernbefreiung" durchgeführt. Schließlich kam mit dem "Edikt der Gemeinheits-Teilungsordnung" vom 7. Juni 1821 Bewegung in die seit Jahrhunderten vorhandene Struktur der bäuerlichen Wirtschaft. Vor allem die letzte Verordnung brachte die radikale Abkehr von der bisher gepflegten Dreifelderwirtschaft mit dem lästigen Flurzwang hin zur Individualwirtschaft.

Diese Umwandlung wird im Ermland als "Separation" bezeichnet. Dabei gab es viele Schwierigkeiten zu überwinden und manch ein Gerichtsprozess musste zur Klärung der Ansprüche geführt werden. Nach dem Gesetz von 1821 konnte nämlich jeder einzelne Bauer die Ausscheidung seines Besitzes beantragen. Da aber die Vermessungen und die Verhandlungen zu große Kosten verursacht hätten, wenn jedes Grundstück einzeln abgetrennt worden wäre, bestimmte die Verordnung vom 28. Juli 1838, dass die Gemeinheitsteilung nur dann erfolgen dürfe, wenn die Besitzer von mindestens einem Viertel der in Frage kommenden Ländereien damit einverstanden wären. Dann jedoch müsse die Separation für das ganze Dorf durchgeführt werden. Bis in einem Dorf es soweit war, vergingen manchmal Jahrzehnte. Doch bis etwa 1865 dürften die meisten Separationsrezesse abgeschlossen worden sein.

Überall entstanden in der Landschaft die heute sie prägenden Abbauten und auch die Dörfer veränderten ihr Aussehen. Das ursprüngliche Dorf, umgeben mit einem Palisadenzaun und Toren gegen unerwünschte Eindringlinge, wozu vor allem im Winter die hungrigen Rudel der Wölfe zählten, löste sich auf. Die Bauern bauten auf ihrem neuen, zusammenhängenden Landplan nach der Separation ihren Hof mit Wohnhaus und Wirtschaftsgebäuden vollkommen neu auf, was mit vielen Kosten verbunden war. So entstanden die typischen Hofanlage der Abbauten.

Die Landschaft bekam durch die neu entstandenen Abbauten ein völlig anderes Aussehen. Im alten Dorf blieben dann die Eigenkätner, Handwerker und Kaufleute und vereinzelte Bauern zurück, deren Landfläche an das Dorf angrenzte. Jeder, ob Bauer, Eigenkätner, Handwerker oder Kaufmann konnte nun seine Fähigkeiten frei entfalten, womit dem Aufblühen der Wirtschaft der Weg geebnet war.

Inzwischen hatte Albrecht Thaer die "Grundsätze der rationellen Landwirtschaft" aufgestellt. Danach sollte z.B. der Kartoffelanbau, der Kleeanbau, der Hackfruchtanbau und die Schafzucht gefördert werden. Ferner empfahl er den Landwirten den Fruchtwechsel. So war Ostpreußen auf dem besten Wege, die "Kornkammer" Deutschlands zu werden.

Das Genossenschaftswesen

Die Umstellungsschwierigkeiten, der Aufbau der neuen Hofanlage und die fallende Preise der landwirtschaftlichen Produkte, vor allem des Getreides, brachten aber auch manche Bauern in eine Notlage, besonders dann, wenn sie sich überschuldet hatten und vielleicht noch mit Wucherzinsen ausgebeutet wurden. Zwangsversteigerungen blieben dann nicht aus. Das führte zur Suche nach Hilfen für die Betroffenen. Männer, wie z.B. Raiffeisen (1818-1888), rieten den Bauern, sich in Genossenschaften zusammenzuschließen zur gegenseitigen Hilfe nach dem Leitwort: "Einer für alle, alle für einen - Raiffeisengenossenschaften".

Ein anderer Pionier auf diesem Gebiet war in Westfalen der Freiherr von Schorlemer-Alst (1825-1895), der 1862 in Münster den Bauernverein gründete. Im Ermland war es der Gymnasiallehrer in Rößel Dr. Bernhard Lehmann (um 1860-1934),der sich mit großem Idealismus für den Bauernstand einsetzte. Schon als er in Deutsch-Krone seinen Schuldienst versah, hatte er am 15. Dezember 1882 den Ost- und Westpreußischen Bauernverein gegründet. Während seiner Rößeler Amtszeit nahm er sich ebenfalls der Sorgen der Bauern an und trug seine Vorschläge in vielen Versammlungen vor. Er fand gleichgesinnte Freunde, so den Amtsvorsteher in Tollnigk und den Bauer Hoppe in Wangst. Bald kam es zur Gründung der ersten Ortsgruppe des Bauernvereins im Ermland, und zwar im alten Lehrerhaus in Rößel am 30. Dezember 1884. Wenige Monate später, am 11. März 1885, entstand die Rößeler Spar- und Darlehenskasse als Finanzierungsinstitut der Bauern.

Die Saat, die Dr. Lehmann ausgestreut hatte, trug reiche Früchte. Es gab bald keinen größeren Ort mehr ohne Spar- und Darlehenskasse. In Lautern leitete die Spar- und Darlehenskasse der Kassenrendant Joseph Neumann bis zu seiner Einberufung zum Militärdienst. Ebenso wurden überall landwirtschaftliche Genossenschaften als Raiffeisengenossenschaften gegründet. So entstanden Genossenschaften für Getreide, Futtermittel und Kunstdünger, Viehverwertungsgenossenschaften, Molkereigenossenschaften und andere Sondergenossenschaften.

Alltag auf einem Bauernhof

Die größeren und großen Scheller Bauernhöfe hatten hundert bis über vierhundert Morgen Land. Der Boden reichte vom leichten Moor bis zu schwerem Lehm. Nahezu jeder Bauer wohnte auf dem Abbau oder an der Grenze seines Besitzes. Meist hatte jeder seine eigene Wasserversorgung auf dem Hof.

Die Gebäude des Hofes, Wohnhaus, Ställe und Scheunen, standen im Rechteck um eine freie Hoffläche herum. Diese war mindestens so groß, daß man mit einem vierspännigen Zug auf ihr wenden konnte. Kleinere Höfe hatte nur zwei Arbeitspferde für etwa fünfzig Morgen Land; die Hoffläche war auch entsprechend kleiner. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es noch wenige Traktoren im Dorf, und wenn, dann nur zum Pflügen und Arbeiten auf schwerem Boden.

Die Vegetationszeit war kurz, also mußte die Zeit im Sommer intensiv genutzt werden. Arbeitszeiten von zwölf Stunden und mehr waren keine Seltenheit. Jeder, der auf dem Hof lebte, mußte mitarbeiten, meistens zwei bis drei Generationen zusammen. Das förderte nicht immer den häuslichen Frieden, aber alle waren aufeinander angewiesen, und deshalb lief die Arbeit.

Größere Höfe hatten Instleute beschäftigt. Diese wohnten in einem separaten Haus neben dem Hof. Die Instleute hatten freie Wohnung, bekamen ihr Deputat und ein Taschengeld. Dafür mußten sie ganzjährig auf dem Hof arbeiten. Zu den meisten Insthäusern gehörten noch ein Stall und ein großer Garten, so daß das Einkommen der Bewohner aufgebessert werden konnte. Kleinere Höfe beschäftigten unverheiratete Arbeiter. Wenn die Bauern Wohnungen an Familien vermietet hatten, dann mußten die Männer und Frauen, oft auch die großen Kinder, im Sommer auf dem Hof helfen. Während der Haupterntezeit arbeiteten oft auch Leute auf den Höfen, die sonst während des Jahres anderweitig beschäftigt waren, z.B. als kleine Handwerker.

Wenn ein Jungbauer den Hof überschrieben bekam, wurde für den Altbauern ein "Ausgedinge" festgelegt, das Wohnung, Kleidung, Versorgung und eine kleine Rente umfaßte. Wenn es mehrere Kinder in der Familie gab, was ja meistens der Fall war, bekamen die übrigen Kinder eine angemessene Ausbildung und Aussteuer. Der Jungbauer mußte, allein schon um existenzfähig zu bleiben, sich eine Partnerin suchen, die lieb war, arbeiten konnte und auch Aussteuergeld mitbrachte.

Der Ermländer war ein gläubiger, naturverbundener Mensch. Vom Mai bis in den Sommer hinein nahm er an den Wallfahrten teil, die aus Dank und auch aus Tradition durchgeführt wurden. Der Sonntag war Ruhetag auf dem Hof. Es wurden nur die allernotwendigsten Arbeiten verrichtet, Wenn aber ein Unwetter drohte, das die Ernte schädigen oder gar vernichten konnte, verkündete der Pfarrer in der Messe von der Kanzel, daß auch am Sonntag auf dem Feld gearbeitet werden durfte.

Der Vater war für Hof und Feld zuständig, die Mutter in erster Linie für das ganze Haus und - vor allem bei kleinen Betrieben - für einen Teil des Hofes. Jedes Kind wurde schon früh zur Verantwortung herangezogen: Die Schulkinder mußten Gänse, Hühner und Schafe versorgen. Mit zwölf Jahren haben die Jungen mit Pferden schon Feldarbeit verrichtet, manchmal lieber als Schulaufgaben.

Wenn die Frühjahrsbestellung zu Ende war, wurde Torf gestochen - Heizmaterial für den Winter. Fast jeder große Bauer hatte eine Moor- oder Torfwiese, in der der Torf bis zu zwei Metern dick lagerte. Anderes Heizmaterial war Holz, das aber nur im Winter geschlagen wurde. In den Wintern lag oft so viel Schnee, daß das Holz mit Schlitten transportiert werden konnte. Langholz transportierte man mit zwei Schlitten, die durch gekreuzte Ketten miteinander verbunden waren. Mit Schlitten sind natürlich keine Rodelschlitten für Kinder, sondern Pferde- und Arbeitsschlitten gemeint. Weil alte Arbeit von Hand erledigt wurde, auch das Laden, war der Holztransport mit dem Schlitten besser und einfacher als mit einem Wagen.

Nicht nur Brennholz holte der Bauer aus seinem Wald, sondern auch Bauholz für größere und kleinere Aufgaben und Reparaturen auf dem Hof. Stämme, die zu Brettern verarbeitet werden sollten, fuhr man in das nächste Sägewerk. Wiederaufforstungen und Neuanpflanzungen wurden nicht vergessen: im Frühjahr, im April, wurden meistens Tannen und Kiefern gesetzt.

Bei der Heu- und Klee-Ernte im Juni ging es noch immer ziemlich ruhig zu. Das Heu und der getrocknete Klee wurden auf dem Hof mit einem Gebläse auf den Heuboden transportiert. Der Klee war meistens zusammen mit dem Hafer im Frühling des Vorjahres gesät worden. Nach der Getreideernte wuchs dann der Klee weiter. Später wurden die Schläge abgeweidet oder durch einen leichten Zaun geschützt. Im zweiten Jahr wurde dann der Klee geerntet.

Nach der Klee-Ernte begann der erste Umbruch der Schläge des zweijährigen Klees, die Brache vor der nächsten Wintersaat. Vorher jedoch wurde der Acker mit Stallmist gedüngt. Bei diesem Umbruch wurde der Klee-Acker mit einem Schälpflug gepflügt oder mit einem Grubber gelockert. Dann ruhte der Acker bis zur Vorbereitung der Wintereinsaat. Den ruhenden Acker nannte man die "Brache". Dieser Ausdruck stammte noch aus der Zeit der Dreifelderwirtschaft, bei der Sommergetreide, Wintergetreide und Brache aufeinander folgten. Der zweite Umbruch war dann das Pflügen vor der Feldbestellung für das Wintergetreide. Es gab Rot- und Weißklee. Der Weißklee war widerstandsfähiger und konnte mehrere Jahre stehen bleiben. Klee war und ist ein Stickstoffsammler, also ein guter Gründünger, aber auch ein eiweißhaltiges Futter für das Vieh.

Im Juli begann die Hauptarbeitszeit des Bauern, die bis in den Spätherbst und den Frühwinter hinein andauerte. Ende Juli, zu Sankt Anna (26. Juli), waren Roggen und Sommergerste zu ernten; die Weizen-, Hafer- und Gemenge- (Futtergetreide-) Ernte dauerte vom August bis in den September hinein. Erntezeit - schöne Zeit - aber auch schwere Zeit und Schwerstarbeit!

Mit Sensen wurde vorgemäht, um "Fahrrinnen" für die Selbstbinder zu schaffen, die wohl jeder Bauer hatte. Das Getreide wurde, wenn es in den Stiegen getrocknet war, zusammengefahren und in Scheunen oder Mieten gelagert. Man sagte im Dorf und in der Umgebung, das Getreide müßte erst "schwitzen" und lagern, damit es dann später besser ausgedroschen werden könnte. Zum halben September mußten der neue Roggen und der neue Weizen schon gesät, die Kartoffel- und Rübenernte im Oktober beendet sein, denn zu Allerheiligen (l. November) war schon mit Frost und erstem Schnee zu rechnen.

Das Vieh war dann wieder fest im Stall, und die ruhigere Zeit brach an. Zu Martini (11. November) wechselten oft die ledigen Arbeiter ihre Stelle, und an die Instleute wurde das Deputat ausgegeben, d.h. Sachleistungen wie Naturalien oder die Gestellung eines Pferdegespannes. Jeder war auf Vorratswirtschaft angewiesen, denn Konservierungsmöglichkeiten wie heute gab es ja noch nicht.

Wenn es ein gutes Erntejahr gewesen war, gab es auch ein paar Festlichkeiten zum Erntedank. Aber das Feiern wurde nicht übertrieben, denn im Grunde waren alle sparsam, da jeder bestrebt war, seinen Hof mit dem Inventar in Ordnung zu halten. Hier wurde auch zuerst investiert.

Großen Wert legte man auf gute Zuchten und Nachzuchten des Viehs. Ein Hengst konnte vierzig bis fünfzig Stuten decken (doch welcher Bauer hatte soviel Tiere?), aber sein Ankauf und seine Haltung waren teuer. Beim Rindvieh und bei den Schweinen waren die Kosten nicht so hoch, da man einen Bullen oder einen Eber nach drei Jahren zum Schlachten verkaufen konnte. Bei den anderen Tieren wurde nur in der Nachbarschaft, höchstens im ganzen Dorf getauscht, damit keine Inzucht entstand.

Pferde waren das "Aushängeschild" des Bauern. Trakehner mit Belgiern gekreuzt, waren die besten Ackerpferde. Manche Bauern züchteten auch ausgesprochene Fahr- oder Kutschpferde. Diese konnten bei leichter Last zehn Kilometer weit im Trab bis zur nächsten Stadt, also bis nach Rößel, laufen. Unter 1eichter Last verstand man einen Kutschwagen oder einen Kastenwagen mit wenig Zuladung. Ansonsten wurde die Pferdekraft voll ausgenutzt. Die tragenden Stuten wurden fast bis zum Fohlen fest eingespannt und nur zwei Wochen vor diesem Termin für leichtere Arbeit eingesetzt Bei frühem Fohlen, manchmal schon im Februar oder März, wurden die Stuten jeden Tag bewegt. Diese Arbeit war für die Schuljungen eine Abwechslung, wenn die Feldarbeit noch nicht begonnen werden konnte.

Das Schulwesen auf dem Land

Pfarrschulen

Die ersten Schulen im Ermland sind schon 1257 nachweisbar. Bischof Anselmus (1250-1278) einigte sich mit dem Hochmeister des Ordens dahingehend, dass ihm in seinem Landesteil die Anstellung der "magistri scholarum" zustand. Die Bischöfe sahen die Einrichtung von Schulen für notwendig an, um die Durchführung der Liturgie im Gottesdienst zu sichern. Außerdem erkannte man auf diese Weise Begabungen und Berufungen und konnte sie entsprechend fördern. So entstanden in den Kirchspieldörfern neben den Kirchen auch Pfarrschulen. Der Lehrer versah gleichzeitig auch den Küster- und Organistendienst. Diese Schulen waren nach unserem heutigen Verständnis recht unvollkommen. Religionslehre und das Einüben von Kirchenliedern waren die einzigen Pflichtfächer. Fächer, wie Lesen, Schreiben und Rechnen wurden wahlweise angeboten. Es ging bei dieser Schulausbildung wesentlich darum, die Kinder zu gläubigen Christen und gesitteten Menschen zu erziehen.

Die oberste Schulaufsicht führte der Bischof und die örtliche der Pfarrer. Beauftragt wurden die Lehrer von einer kirchlichen Instanz, wobei besonders darauf geachtet wurde, dass der einzustellende Lehrer auch den Organisten und Kantordienst, sowie meist auch den Küsterdienst wahrnehmen konnte. Seine Einkünfte waren kärglich. Einen Teil zahlte die kirchliche Verwaltung für die Organisten- und Küsterdienste, einen weiteren Teil die Gemeinde, die einige Morgen Land zum Lebensunterhalt und ein Haus für die Lehrerfamilie zur Verfügung stellte, in dessen größtem Raum mangels eines eigenen Schulgebäudes der Unterricht erteilt wurde. Die Bauern des Dorfes bestellten dem Lehrer das Land und holten ihm das Holz zum Kochen und Heizen aus dem Wald. Eine Schulpflicht in unserem heutigen Sinne gab es ursprünglich nicht.- In Preußen hat König Friedrich Wilhelm I. die Schulpflicht 1717 durch ein Edikt eingeführt. Jeder auf Bildung für seine Kinder bedachte Bauer oder Bewohner des Dorfes - es waren nicht viele- zahlte für den Unterricht einen geringes Entgelt an den Lehrer. Alles in allem konnte der Lehrer mit seiner Familie davon bescheiden leben. Seine soziale Lage kennzeichnet das Spottlied vorn armen Dorfschulmeister.

Die Vorbildung der Lehrer wer sehr unterschiedlich. Meist waren sie jedoch anerkannt und geschätzt. Sie hatten ihre Kenntnisse in der Regel von einer Kloster- oder Lateinschule in der Stadt erworbenen. Bei den regelmäßigen Visitationen wurde der Lehrer auf seine Amtsführung und seinen Lebenswandel überprüft.

Ermländische Schulreform

Der Besuch der Schule durch die Landkinder war sehr mangelhaft. Besonders im Sommer brauchte die bäuerliche Bevölkerung ihre Kinder zur Mithilfe bei den Haus-, Hof- und Feldarbeiten. Mahnschreiben selbst des Bischofs konnten kaum ein größeres Bildungsinteresse wecken. Diese erbärmlichen Verhältnisse herrschten noch bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein.

Eine Besserung der Schulverhältnisse trat erst mit der großen ermländischen Schulreform unter Bischof Joseph von Hohenzollern (1808-1836) ein. Er rief tüchtige Pädagogen in das Land, so z.B. Johann Heinrich Schmülling aus Münster in Westfalen. Dieser hat sich um die Reform des ermländischen Elementarschulwesens große Verdienste erworben. Er entwarf neue Lehrpläne für die Landschulen (1823) und verfaßte selbst ein Lesebuch, weitere Schriften für die Elementarschüler.

Nach der Eröffnung des Lehrerseminars in Braunsberg (1811) gab es einen Lehrernachwuchs, der im Geist von Pestalozzi gut ausgebildet wurde. Allmählich errichteten auch die einzelnen Dorfgemeinden eigene Kleinschulen. Etwa um die Mitte des 19. Jahrhunderts verfügte fast jedes Dorf über eine "Zwergschule" mit einer Lehrkraft. Die Schüler und Schülerinnen wurden in drei Gruppen, Unterstufe, Mittelstufe und Oberstufe, unterrichtet, und dies geschah meist in einem großen Raum des Lehrerhauses. Man muß das pädagogische Geschick der Lehrkräfte bewundern, die bei diesen mißlichen Umständen ihren Dienst ausüben mussten.

Im Lehrplan von Schmülling waren die Fächer Religion, Lesen, Schreiben, Rechnen und Volkskunde vorgesehen. Später wurde der Unterrichtskatalog erweitert um die Fächer Deutsch und Geschichte, Rechnen und Raumlehre, sowie Erdkunde, Naturkunde, Zeichnen, Handarbeit, Turnen und Singen.

Einführung der allgemeinen Schulpflicht am 28. April 1920

Die bisherige Regelung der Ortsschulaufsicht wurde durch die Reichsverfassung von 1919 aufgehoben. In Artikel 144 ist festgelegt, dass die Schulaufsicht durch hauptamtlich tätige und fachlich vorgebildete Beamte (Schulräte) ausgeübt wird. Die gesetzlichen Bestimmungen machen es zur allgemeinen Regel, dass Kinder vom 6.-14. Lebensjahr die Volksschule besuchen, wenn sie nicht einen g1eichwertigen Unterricht in einer Privatschule erhalten oder die Vorschule einer höheren Schule (Gymnasium) besuchen. Durch das Reichsgrundschulgesetz vom 28. April 1920 ist allen Kindern grundsätzlich die Pflicht auferlegt, in den ersten 4 Jahren ihrer Schulzeit die öffentliche Volksschule zu besuchen. Damit ist der Schritt von der Unterrichtspflicht zur Schulpflicht getan, und der Staat hat sich für die Grundschulzeit praktisch das vollständige Schulmonopol angeeignet. Vom 5. Schuljahr ab kann die Ableistung der Schulpflicht, die alle normal begabten Kinder zum achtjährigen Schulbesuch verpflichtet, auf einer Mittel-(Real-)Schule oder höheren Schule fortgesetzt werden. Wo Berufsschulen bzw. Fortbildungsschulen erreichbar sind, ist deren Besuch bis zum vollendeten 18. Lebensjahr Pflicht.

Die landwirtschaftlichen Organisationen kamen am 12. August 1921 überein, in Rößel eine Landwirtschaftsschule zu errichten. In ihrer Aufgabenstellung heißt es: "Aufgabe der Anstalt ist es, die Jungbauern mit dem notwendigen Rüstzeug zu versehen, das sie befähigt, alle Maßnahmen im landwirtschaftlichen Betrieb auf das besondere Ziel der Ertragssteigerung und Rohstofferzeugung und somit auf Erreichung der Nahrungsfreiheit des Volkes einzustellen." Den beiden Klassen für Bauernsöhne wurde im Herbst 1934 eine Jungbäuerinnenklasse angegliedert. Sie sollten in allen Fragen der Hauswirtschaft gründlich ausgebildet werden, damit sie die Kenntnisse im späteren Leben zum Wohle des Volksganzen anwenden. Außer dieser Schultätigkeit hatte die Landwirtschaftsschule die Aufgabe, die Bauern und Landwirte des Kreises in allen Fragen der Landwirtschaft zu beraten. Mit der Schule waren fünf bäuerliche Versuchsringe verbunden. Außerdem wurden hier Lehrkräfte geschult, die nach dem Ausbau des ländlichen Berufsschulwesens 1936 den Unterricht an diesen Schulen übernahmen. Im Jahre 1940 wurde die Schule auch zur Ausbildungsstätte für angehende Landwirtschaftslehrerinnen.

Durch ein Gesetz vom 1. Mai 1934 wurde das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung errichtet. Dadurch wurden die Ideen des Nationalsozialismus bis in die kleinste Dorfschule hineingetragen. Im Herbst 1944, rechtzeitig vor dem Einmarsch der Russen, schlossen die deutschen Schulen ihre Tore für immer.

Brauchtum im Ermland

Christliche Feiertage

Sitten und Brauchtum waren im Ermland vorwiegend kirchlich bestimmt. Nur wenig ist aus vor Christlicher Zeit noch als Aberglaube in manchen Bräuchen erhalten geblieben. Forschungen über das Brauchtum in Ostpreußen hat Prof. Riemann durchgeführt und die Ergebnisse in seinem Werk "Ostpreußisches Volkstum" dargestellt:

In der Adventszeit wurde beim Schein einer Kerze der Familie der Rosenkranz gebetet. Dabei bete der Vater oder die Mutter vor. Dies geschah den Abend vor dem Schlafengehen. Wie überall in Deutschland wurde am Abend vor m Fest der Geburt Christi, dem Heiligen Abend, Familienkreis gefeiert. Schon am frühen Nachttag wurde im Haus und in den Ställen alles "beschickt". Wo Kinder im Hause waren, erwarteten sie mit Spannung am Abend den "Höllge Chröst" mit Gefolge, dem Schimmelreiter auf einem Steckenpferd, dem Storch als Vogel aus Holz oder Pappe und dem Mohren, die mit Kuhglockengeläut vor der Haustür erschienen, von den Eltern aus der Nachbarschaft bestellt. Den Kindern hielt der Höllge Christ ihre Unarten vor und griff dann eh schon mal zur Rute; aber auch die guten Taten hob er lobend hervor und belohnte sie mit Schokolade, Äpfeln und Zuckergebäck, so dass doch schließlich alles in Harmonie endete. Am Schluß erhielt die Gruppe vom Hausherrn noch einen Abschiedstrunk. Danach erfolgte die ersehnte Bescherung unter dem mit bunten Papierketten, Kugeln und Kerzen geschmückten Tannenbaum. Eine Krippe mit den Figuren der am Geschehen beteiligten Menschen und Tiere war nur in der Kirche aufgestellt. Die Geschenke, mit denen Kinder und Gesinde überrascht wurden, waren einfach und praktisch nützlich. Ein sehr sinniger Brauch zum Fest, an dem sich die Liebe Gottes offenbarte, bestand darin, dass die Bauern die Kinder mit einem Korb voll Eiern, Wurst, Speck und Streusselkuchen zu den ärmeren Leuten ins Dorf schickten.

Um 1925 kam der Brauch auf, die erste Weihnachtsmesse als Mitternachtsmesse zu feiern. Meist war die Landschaft um diese Zeit mit tiefem Schnee bedeckt. Wenn dann die Schlitten mit Laternen und Schellengeläut am Pferdegeschirr die Bauernfamilien von allen Seiten zum Kirchdorf fuhren, so war das ein unvergeßliches Erlebnis.

Zum Jahresausklang versammelte sich die Dorfgemeinde zur Jahresschlußandacht in der Kirche. Es wurden die kirchlichen Ereignisse im Laufe des Jahres, wie Eheschließungen, Taufen usw., statistisch zusammengefaßt, bekannt gegeben und von allen Gläubigen Gott für das vergangene Jahr gedankt und um Segen für das neue Jahr gebetet. In den letzten Stunden des alten Jahres setzten sich die Nachbarn vielfach zur Unterhaltung bei Kaffee, Streusselkuchen und frischer Leberwurst zusammen und begrüßten das neue Jahr mit einem Punsch.

Am Fest der Heiligen Drei Könige, der Weisen aus dem Morgenland, Caspar, Melchior und Balthasar, schrieb der Bauer oder die Bäuerin mit geweihter Kreide ihre Anfangsbuchstaben und die Jahreszahl, jeweils durch Kreuze getrennt, an die Haus- und Stalltüren. Die Buchstaben werden auch als Segensspruch gedeutet: Christus mansionem benedicat, - Christus segne die Wohnung (mit ihren Bewohnern).

In den Wintermonaten, wenn die Feldarbeit ruhte, zogen die Männer in den Wald, um ihn zu lichten und Bau- und Brennholz für den nächsten Winter zu schlagen. Das Bauholz wurde zur Schneidemühle gefahren und das Brennholz erwärmte die Männer in der frostigen Luft beim Zerkleinern und Aufschichten zum Trocknen. Die Frauen und Mädchen saßen dann in der großen Stube und spannen Wolle und Flachs oder webten für den "Beschnitt" Aussteuerleinwand für die Töchter, und die in der Wirtschaft beschäftigten Leute, Plunderstoff zu Arbeitshosen u.a. Dabei wurde erzählt und gesungen, so dass auch die Winterzeit ihre Kurzweil hatte.

Am Fastnachtstag duftete es im ganzen Haus nach "Schmoltkielke'. Am Aschermittwoch begann die strenge Fastenzeit, das hieß für die bäuerliche Küche statt Fleisch Fisch auf den Tisch. Dazu lieferte die Eisfischerei auf dem See frischen Fisch und eine Heringstonne Salzheringe zu den Mahlzeiten. Am Karfreitag ging der Bauer oder die Bäuerin durch die Wirtschaftsgebäude und besprengte sie und die Ackergeräte mit Weihwasser, um damit den Segen für die ganze Landwirtschaft zu erbitten. Am ersten Ostertag war es eine verbreitete Sitte, das Ostermus (Klunkermus) mit gekochten Eiern auf den Tisch zu bringen, wobei die Eier mit Zwiebelschalen gefärbt wurden.

Ein von Kindern geübter Brauch war das "Schmakkostern". Gruppen von Kindern kamen mit vorgegrünten Birkenzweigen an die Haustür und schlugen mit den Zweigen um die Füße der öffnenden Person und sprachen dabei: "Poa Eia, Stück Speck, ea gehn wia nich weck".

Wenn zur Auferstehungsmesse um 5.00 Uhr gefahren wurde, und nach dem Gottesdienst die Sonne aufgegangen war, schaute man durch ein Nadelloch in einem Stück Papier in die Sonne, um das Oster1amm zu sehen. Manche glaubten, es wirklich gesehen zu haben.

Zum Pfingstfest wurden nach dem Hausputz die Eingangstür und die Wohnung mit frischen Birkenreisern geschmückt als Ausdruck der Freude über den Frühling, und wenn schon der Flieder im Garten blühte, was bei einer späten Lage des Festes im Kalender möglich war, dann schmückten Fliedersträuße die Tische im Haus.

Nach der Aussaat hing das Gedeihen der Saaten nach dem Glauben der katholischen Ermländer zu1etzt vom Segen Gottes ab. So bat man ihn in den Bittprozessionen an den drei Tagen vor Christi Himmelfahrt um seinen Segen für ein gutes Wachstum der Saaten und Bewahrung vor Frost und Hagel; denn von einer guten Ernte hing die Existenz ihrer Familien ab. Dieselbe Ehrfurcht wie gegenüber der Saat brachte die Hausfrau auch dem selbstgebackenen Brot entgegen, wenn sie vor dem Anschnitt dieses mit drei Kreuzen auf der flachen Seite bezeichnete. Ein Erntedankfest wurde mit einem feierlichen Gottesdienst in der ersten Oktoberwoche begangen. Danach vergnügte sich alles Volk bei einer weltlichen Feier mit Musik und Tanz.

Die Hochzeitsfeier

Hochzeitstermine wurden in Zeiten geringer landwirtschaftlicher Arbeit gelegt, wobei beachtet wurde, dass in der Advents- und Fastenzeit keine aufwendigen Festlichkeiten veranstaltet werden sollten. Wegen des Fasttages am Freitag verlegte man die Hochzeitsfeierlichkeiten auf einen der ersten drei Tage der Woche.

In früheren Zeiten war eine Heirat weniger auf die Erfüllung der Liebesbeziehung zwischen den Geschlechtern ausgerichtet, als vielmehr auf die Frage nach einer guten "Partie". Im Volksmund hieß es: "Jöld mut to Jöld". Manchmal kam es zu einem regelrechten Handel zwischen den Eltern des Paares. War man sich einig, dann reichten sich der junge Mann und die Junge Frau die Hand und damit war die Verlobung, der "Verspruch", vollzogen. Darauf folgte meist die Überreichung eines. Geschenkes und des Ringes an die Braut. Umgehend wurde das "Aufgebot" beim Standesbeamten und beim Pfarrer bestellt. Um eventuelle Ehehindernisse aufzudecken, hing der Standesbeamte das Aufgebot in den Gemeindeschaukasten, und an drei aufeinander folgenden Sonntagen vermeldete auch der Pfarrer, die Absicht der Brautleute zu heiraten, von der Kanzel.

Die Hochzeitsfeier wurde nach der kirchlichen Trauung im Elternhaus der Braut gefeiert. Früher lud ein "Hochzeitsbitter" die Gäste ein, indem er hoch zu Roß in festlicher Kleidung auf den Hof ritt und in Versen die Einladung aussprach. Schon Tage vor dem angesetzten Termin wurde geschlachtet, eine Köchin kam ins Haus und traf alle nötigen Vorbereitungen. Die eingeladenen Nachbarn steuerten Eier und Butter zum Backen bei. Den Abschied vom Junggesellenstand feierten die Brautleute mit den Nachbarn am "Polterabend", an dem viel altes, unbrauchbares Geschirr vor der Haustür auf dem Boden zertrümmert wurde. Der Volksmund meint: "Je mehr Scherben, desto mehr Glück im Eheleben"; oder es könnte auch nach einem anderen Sprichwort eine Mahnung sein: "Glück und Glas, wie leicht zerbricht doch das!"

Dann kam der ersehnte Tag der Trauung. Vorher hatte der Pfarrer die Brautleute zum "Brautexamen" eingeladen, und der Standesbeamte den amtlichen Trauungsakt vollzogen. Zur angesetzten kirchlichen Trauung, meist um 10 Uhr, setzte sich vom Elternhaus der Braut aus ein langer Zug von Kutschen mit den Gästen in Bewegung, am Ende der Wagen des Brautpaares. Viele Neugierige säumten den Weg im Dort zur Kirche. In das feierliche Brautamt war das Eheversprechen der Brautleute vor dem Pfarrer, den Trauzeugen und der anwesenden Gemeinde eingeschlossen, und so auch die sakramentale Eheschließung vollzogen. Nach der Messe nahm das Brautpaar die ersten Glückwünsche entgegen. Dann ging es zurück auf den väterlichen Hof. Dabei fuhr die Hochzeitskutsche an der Spitze des Zuges. Auf dem Hof wurden die Neuvermählten und die Gäste jeweils mit einem Tusch der Blaskapelle empfangen. Dann begann ein fröhliches Fest. Am Mittagstisch nahm das Brautpaar einen umkränzten Ehrenplatz ein. Während des üppigen Mahles wurde zwischen den einzelnen Gängen die Hochzeitszeitung verlesen und Lieder gesungen. Unterhaltung, Spiel und Spaziergänge, "Hof besahne"- und eine Kaffeetafel füllten den Nachmittag aus. Nach dem Abendessen spielte eine Musikkapelle zum Tanz auf. Um Mitternacht wurde der Schleier der Braut abgelegt und ihr dafür ,ein Häubchen aufgesetzt. Der Bräutigam erhielt Zipfelmütze und Pfeife als die Insignien seines neuen Standes. Das Ganze wurde in einer lustigen Zeremonie vollzogen. Dann lief das Fest in Fröhlichkeit weiter bis in die frühen Morgenstunden. Zur Erinnerung und Auffrischung der Erlebnisse des Hochzeitstages feierten die Nachbarn mit den Hochzeitsfamilien die sogenannte "Schlorrehochzeit".

Taufe und Tod

Kinder wurden von ihren Eltern als Segen Gottes angenommen. War ein kleines Wesen meist mit Hilfe einer Hebamme zur Welt gekommen, dann fuhr der Vater ins Kirchspiel, um das Neugeborene beim Pfarrer und Standesbeamten "anschreiben" zu lassen. Bei der Wahl der Vornamens musste ein Heiligenname dabei sein. Die Tauffeierlichkeiten wurden im Volksmund "Kloatsch" genannt. Die Mutter war bei der Taufe in der Kirche nicht dabei, denn das neugeborene Kind wurde früher wenige Tage nach der Geburt getauft. Die Paten beim ersten Kind wurden gewöhnlich aus dem Kreis der Großeltern gewählt und bei den nachfolgenden Kindern dann aus der Verwandtschaft oder Nachbarschaft. Allgemein hießen sie "Patenonkel" oder "Patentante". Zur Taufe fuhren sie mit dem Kutschwagen, meist am Sonntagnachmittag, begleitet, von den engeren Angehörigen, zur Kirche. Nach der Rückkehr gab es im kleinen Familienkreis Kaffee und Kuchen und natürlich wurde der neue Erdenbürger noch tüchtig "begossen". Etwa sechs Wochen später wurde die Mutter wieder "in die Kirche eingeführt" dazu wartete sie in der Turmhalle bis der Pfarrer sie mit brennender Kerze abholte.

Lag ein Familienmitglied im Sterben, so wurde der Pfarrer an das Krankenbett gerufen, um ihm vor der Schwelle zur Ewigkeit die Sterbesakramente (Beichte, Kommunion und Krankensalbung) zu spenden. Außer der Beichte nahmen alle Familienangehörigen daran teil. Starb der Kranke, so wurde symbolisch die Uhr angehalten. Der Tote blieb aufgebahrt in einem verdunkelten Zimmer bis zum Tag der Beisetzung im Haus. An seiner Bahre beteten die Familie und die Nachbarn den Rosenkranz und die Totengebete. Am Beerdigungstag wurde der Tote in der Kirche aufgebahrt und in einem Requiem für sein Seelenheil gebetet. Nach der "Aussegnung" wurde der Sarg mit der sterblichen Hülle im Trauerzug zum nahegelegenen Friedhof gebracht und dort beigesetzt. Je nach Stand und Ansehen gab es damals drei Formen kirchlicher Beerdigungen:

1. Den Vollkondukt: Dabei hielt der Pfarrer mit Assistenz ein feierliches, gesungenes Requiem und der Tote wurde mit den Kirchenfahnen im Trauerzug zu Grabe getragen.

2. Den Halbkondukt: Der Pfarrer feierte das Requiem und ein einfacher Trauerzug brachte den Toten zur letzten Ruhestätte.

3. Die einfache Grablegung mit Totenmesse und anschließender Beisetzung mit Vortragekreuz.

Nach der kirchlichen Beerdigung lud die Familie die Trauergemeinde zum "Zerm" ein, um die Trauernden aufzumuntern in dem Sinn, dass das Leben für sie weitergeht und der Alltag mit seinen Pflichten sie wieder fordert. Manchmal wurde dabei zuviel des Guten getan, so dass das Trauermahl zum Zechgelage ausartete.

 

Aus dem geschilderten Brauchtum ist die enge Verbundenheit der Menschen mit der Kirche und dem Ablauf der Jahreszeiten in der Natur, sowie der Menschen untereinander deutlich geworden. Ob alt oder jung, ob arm oder reich, ob hoch oder niedrig gestellt, die Menschen im Kirchspiel bildeten eine Arbeits- und Schicksalsgemeinschaft.