Margarete feierte Doppelhochzeit mit ihrer Schwester Anna. Margarete hatte drei Schwestern und erbte den Abbauhof an der Rößeler Chaussee in
Schellen (Hausnr. 36) mit 24,25 ha. Neben Margarete hatte auch der Onkel Robert Tietz in Schellen einen Hof mit 25 ha, er wohnte in der Nähe der
Schule. Der Vater Anton Tietz hatte auf dem Hof Skirde "eingeheiratet" und stammte nicht aus Schellen, sondern aus Wernegitten im Kreis Heilsberg.
KRIEGSENDE IN SCHELLEN
Am 29. Januar 1945 kamen die ersten Sowjetsoldaten nach Schellen. Die vorherige Flucht oder Evakuierung ist zunächst vom Gauleiter Erich Koch untersagt worden und war später wegen der Kesselbildung unmöglich
geworden. Kampfhandlungen fanden in Schellen nicht statt, allerdings wurde die Brücke über das Dorfflüsschen "Rhein" kurz zuvor von deutschen
Soldaten noch gesprengt, was im Umfeld größere Verwüstungen hervorrief. Die Schule brannte kurz nach Kriegsende ab. Etliche Bürger wurden im Chaos des Fruhjahrs erschossen, verschleppt und misshandelt. Vieh,
Maschinen und Hausrat wurde nach Russland abtransportiert. Ab Mai 1945 kamen polnische Siedler (oft ihrerseits von den Russen aus Ostpolen vertrieben) auf die Gehöfte. Im August wurde auf dem Feld des Nachbarn
Peter Grunert eine russische Erntekolchose eingerichtet, auf der viele bis September zur Arbeit verpflichtet wurden, um das noch im Herbst eingesäte,
auf den umliegenden Feldern liegende Wintergetreide, Roggen und Weizen, abzuernten und auszudreschen.
DIE VERTREIBUNG
Die Vertreibung der Deutschen Einwohner begann mit den ersten
Ausweisungsbefehlen am 22. Oktober 1945. Auch Margarete erhielt von den Russen Ende Oktober den Befehl, Schellen zu verlassen. Mit den sechs
Kindern und begleitet von Frau Heiermann, die schon länger aus dem östlich gelegenen Goldap in Schellen evakuiert war, ging der Weg erst einmal zu
Fuß über Groß Köllen zum 9 km entfernten Bahnhof Bergenthal. Bei den trotz russischer Bewachung von Polen vollzogenen Plünderungen sind z.B.
auch die 5-6 Laibe Brot, die Margarete für die Fahrt noch gebacken hatte, weggekommen. Das Bettzeug wurde zerrissen und ausgeschüttelt, um die Inlays wegzunehmen, etc.
Im Güterwagen ging die 3-4 wöchige Fahrt mit vielen Unterbrechungen über Frankfurt/Oder nach Berlin-Schönefeld. Dort wo kriegsbedingt die Schienen
zerstört waren, musste die Familie zu Fuß entlang der Schienen weiter. Am Bahnhof Berlin-Schönefeld lagerte die Familie mit Frau Heiermann 2-3
Tage. Während dessen hatten 2 Kameraden von August, die sich trotz der deutschen Niederlage und der russischen Besatzung von Königsberg bis Berlin durchschlagen konnten, von der Anwesenheit von Schellern gehört
und sich zu Margarete durchgefragt. Sie überbrachten das erste Lebenszeichen von August und berichteten, dass dieser nun in russischer Kriegsgefangenschaft sei. In Berlin konnte wegen der Bombenschäden und
der Massen an Flüchtlingen die Familie nicht bleiben und wurde in einen Zug nach Stralsund gesetzt. Kurz vor Abfahrt bemerkte der älteste Sohn Bruno,
dass auch seine Tante Martha mit den Kindern in Schönefeld angekommen waren. Die Reise wurde nun gemeinsam fortgesetzt.
Von November bis Februar lebte die vergrößerte Familie auf einem Gutshof
in Buschenhagen bei Stralsund. Margarete schrieb an Anton und Robert Skirde, zwei Onkel mütterlicherseits, die wegen besserer Arbeitsmöglichkeiten schon vor Jahren nach Essen ausgewandert waren.
Antwort bekam Sie dann von der Cousine Dorothea Gapski (geb. Skirde), einer Nichte ihrer Mutter, die aus Königsberg geflüchtet war und schon in
Westfalen war. Sie empfahl ihnen, über Helmstedt nach Lippstadt zu gehen. Da auch Frau Heiermann mittlerweile Kontakt zu ihrem Mann bekommen
hatte, der ebenfalls in Westfalen war, ging es nun gemeinsam weiter im Zug nach Westfalen .
NEUANFANG IN WESTFALEN:
Nach 3-4 Tagen Fahrt kam die Gruppe im Februar 1946 in Lippstadt an,
von wo aus die beiden Familien nach Langeneike geschickt wurden. Martha wurde mit ihren Kindern dann in Anröchte einquartiert, Margarete mit den Kindern in Ermsinghausen zwischen Geseke und Lippstadt auf dem Hof
Arens, wo noch eine kleine Wohnung unter dem Dach frei war. August kam erst im Sommer 1949 gesundheitlich schwer angeschlagen aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Bis sie 1953 ein Haus im 2 km entfernten
Mittelhausen bauten (Nr. 10), einem für die Vertriebenen neu gegründeten Ortsteil von Langeneike, blieben sie auf dem Hof Arens. In Mittelhausen betrieben sie für den Eigenbedarf auch wieder etwas Vieh- und
Landwirtschaft.
Von dem Hof in Schellen (heute Ryn Rszelski im Kreis Reszel) sind nur noch Grundmauern erhalten. 1974, nach dem Tod von August, ist Margarete mit
Hugo und Bruno und deren Familie noch einmal hingefahren. Nach der zweiten Ausweisungswelle im Herbst 1947 waren nur noch 7 deutsche Familien in Schellen, die nach dem Mauerfall 1990 nach Deutschland übersiedelten.
Beruf: August hat wie sein Bruder Anton auf der Landwirtschaftsschule in Rößel gelernt. Durch "Vermittlung" seines Vaters (so war das damals!)
heiratete er die Älteste von vier Töchtern auf dem Hof Tietz in Schellen (ca. 24 Hektar). August hatte damals schon ein Auto zunächst einen Brennabor dann einen Opel P4.
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EXKURS zur Ortsgeschichte von Schellen:
Schellen ist auf Veranlassung des sechsten Bischofs von Ermland, Hermann
von Prag, am 15. Juni 1339 durch Ausstellung der "Handfeste" (Urkunde) gegründet worden. Erst kurz zuvor, am 22. Juli 1337, war Rößel an der
Stelle des 1241 vom Ritterorden angelegten Wach- und Wildhauses "Reßel" gegründet worden. Die zugehörige, heute noch erhaltene massive Burg wurde 1353-75 gebaut.
Hermann beauftragte für die Gründung von Schellen den "Lokator" und Pruzzen namens Schelden. Das zunächst Ryn genannte Dorf lag am "Rhein"
(früher Ryn, wahrscheinlich haben Rheinländer, die in der benachbarten Gegend um Groß Köllen (!) siedelten, den Fluss umbenannt) und umfasste
62 Hufen (später nur noch 60 Hufen ~ 995 ha) Land. Die ersten Siedler waren ausschließlich die ursprünglich in Ostpreussen einheimischen Prussen
oder Pruzzen, da anfangs ein Mangel an deutschen Siedlern herrschte. Erst in den folgenden Jahrzehnten kamen deutsche Siedler hinzu. Für Aufbau und
Urbarmachung der "Wildnis" erhielten die Siedler 12 zins- und steuerfreie Jahre. Danach musste je Hufe ein halbe Mark und 2 Scheffel Weizen und 2
Hühnerjährlich bezahlt werden! Ryn wurde 14 Jahre nach der Gründung nach seinem Lokator in Schelden umbenannt.
Schellen hatte einen "Krug" (seit 1359), eine kleine Kirche (errichtet 1706,
Vorläuferbau schon um 1400) und eine Schule (seit 1786), später auch ein "Kolonialwarengeschäft". 1773 werden in Schellen 19 Bauernhöfe gezählt.
In der Kirche sind auf einer Gedenktafel unter den Gefallenen des ersten Weltkrieges "August Schwark", "Josef Schwark I" und "Joseph Schwark II"
aufgeführt, verwandtschaftliche Bezüge sind nicht bekannt. Die Einwohnerzahl lag 1939 bei 415, davon 26 Bauern. Im zweiten Weltkrieg fiel u.a. aus Schellen "Hugo Schwark" (wohnte bei Anton Stalinski im
Mietshaus Preik). Er war aber nicht der 1943 gefallene jüngere Bruder von August, da dieser noch auf dem Hof in Wangst lebte.
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!August wurde erst im Sommer 1944 zum Krieg zur Verteidigung Ostpreussens eingezogen und geriet in den letzten Kriegstagen beim Fall der schwer belagerten Stadt Königsberg am 9.4.1945 in russische
Kriegsgefangenschaft. Aus der Gefangenschaft kehrte er erst nach mehr als 4 Jahren im August 1949 zurück, genau 5 Jahre nachdem er in den Krieg
eingezogen worden war. Die meiste Zeit der Gefangenschaft verbrachte er relativ nahe zu Ostpreussen in Riga, erst das letzte Jahr wurde er nach Russland verbracht.
Nach dem Krieg arbeitete er in einem Industriebetrieb in Lippstadt.